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Die Synagoge in der Kirche

Die Synagoge in der Kirche

Die Synagoge in der Kirche

# Geschichte Herz Jesu

Die Synagoge in der Kirche

Vortrag von Dr. Christine Goetz zur Woche der Brüderlichkeit in der Herz-Jesu-Kirche am 06. März 2008.

Wandmalerei in der Herz-Jesu-Kirche

Ich spreche zu Ihnen als Kunsthistorikerin, nicht als Theologin, die ich nicht bin. Ich befasse mich mit der Geschichte der christlichen Bildsprache. Die Bildgeschichte des christlichen Glaubens interessiert mich, weil sie eine ganz eigene Selbstaussage des Menschen ist , die durch Worte und Begriffe nicht ersetzt werden können. Bilder können Erkenntnis sein, aber auch Verblendung, Wahrheit und Lüge. Bilder haben Macht, propagandistische Macht. Die Bilder erzählen uns oft mehr als manches Wort.

Ich darf Sie begrüßen in der Herz Jesu Kirche. Es ist eine katholische Kirche, die über 100 Jahre alt ist, sie wurde vor der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert errichtet, im Jahre 1898 war das Bauwerk fertig. Der Baumeister war damals sehr bekannt, Prof. Christoph Hehl, er hat allein hier in Berlin sieben katholische Kirchen gebaut. Die flächendeckende Ausmalung entstand etwas später und in Etappen, die erste Etappe von 1911- 1914 betraf den gesamten Bereich des Chorraumes. Friedrich Stummel hieß der Maler, der zu der Zeit vor allem im katholischen Rheinland eine große Berühmtheit war, seinen Hauptsitz in Kevelaer hatte. Er leitete eine große und funktionsfähige Werkstatt mit vielen Mitarbeitern, er war ein Unternehmer in Sachen Kirchenausmalung und bewältigte große Aufträge wie die Ausmalung dieser Kirche hier oder auch der Rosenkranzbasilika in Berlin-Steglitz etwa zur gleichen Zeit. Er starb im Jahre 1919 und sein Schüler und Nachfolger Karl Wenzel malte dann etwa ein Jahrzehnt später, d.h. in den späten 1920er Jahren das Mittelschiff und das Querschiff aus. Wenn man sich eingesehen hat, kann man die unterschiedlichen Handschriften unterscheiden. Die Kirche ist von der Architektur her eine Basilika, dreischiffig mit Querhaus, gewölbt und mit einem Chorraum, der in einem kostbar goldschimmernden Hochaltar seinen Zielpunkt findet. Auf diesen Chorraum ist der gesamte Bau ausgerichtet, die Apsiswölbung liefert die architektonische Würdeform für die Christusgestalt, die mit geöffneten Armen und in Schrittstellung hin zur Gemeinde die Besucher empfängt.

Was uns am heutigen Abend interessiert ist eine Figur, die auf die Wand gemalt ist bzw. eigentlich ein Figuren-Paar, das sich aufeinander bezieht. Es sind zwei Frauengestalten, entstanden im Jahr 1912, man sieht sie gleich, wenn man die Kirche vom Hauptportal betritt, das heißt, sie sind an höchst prominenter Stelle des Kirchenraumes platziert, nämlich rechts und links des Chorbogens und dies in monumentaler Größe, wie alle anderen Figuren auch. Sie sind nicht zu übersehen: zu Ihrer Rechten die Figur der Ecclesia, zu Ihrer Linken die Synagoge – beide Figuren sind begleitet von einem lateinischen Schriftzug : ECCLESIA – Kirche / SYNAGOGA – Synagoge. Beide Frauengestalten sind Allegorien. Allegorie ist ein Begriff aus dem Griechischen und meint wörtlich übersetzt „etwas Anderssagen“. Gemeint ist die Verbildlichung eines abstrakten Begriffes. Einen abstrakten Begriff wie Ecclesia ( deutsch: Kirche) und Synagoga ( Synagoge) kann man verbildlichen zum Beispiel durch Personifikationen, wie es hier geschieht. Die Personifikation ist eine beliebte Sonderform der Allegorie, die wir in der Geschichte der Kunst vor allem seit dem Mittelalter häufig finden und in wilhelminischer Zeit, in der diese Kirchenausmalung entstand, ganz besonders beliebt war.

Bilder in Kirchen sind nicht in erster Linie der Dekoration wegen da, auch wenn sie wie hier in der Herz Jesu Kirche sehr wohl als dekoratives farbiges Kleid den gesamten Innenraum überziehen. Neben den Ornamenten und anderem Dekor sehen Sie hier eine große Anzahl von Bildern, die etwas verkündigen sollen, auch dann, wenn kein Gottesdienst stattfindet. Bilder predigen auf ihre ganz eigene Weise und man fragt sich beim Betreten eines solch anspruchsvollen katholischen Sakralraumes: welcher Glaube wird denn verkündet?

Sie hatten nun Zeit, Ihre Blicke schweifen zu lassen oder mit Ihren Blicken zu verweilen, wer von den Zuhörern zur Gemeinde gehört, kennt diese Figuren Ecclesia und Synagoga vielleicht schon lange, auch weiß ich, daß die Beschäftigung mit der Botschaft dieser beiden Gestalten innerhalb der Gemeinde seit langem in Gang ist.

Versuchen wir einmal, mit den Augen, die wir hier und heute haben, einen Blick auf diese beiden Frauengestalten, versuchen wir, naiv zu sein wie ein Kind, auch wenn wir dies bei diesem Thema nur mit Mühe fertig bringen: Die rechte Frauengestalt blickt zur linken hinüber. Sie steht dabei aufrecht, gekleidet in ein purpurrotes Gewand mit goldenem Quastensaum und einen weiten blauen Umhang, der in schön parallel geführten Falten herabfällt. Sie hält einen Stab, der von einem Kreuz bekrönt ist, von dem eine wehende weiße Fahne ausgeht, auf der ein weiteres, ein rotes Kreuz zu sehen ist. In der rechten Hand hält sie ein goldenes Trinkgefäß, einen Pokal. Auf dem erhobenen Haupt trägt sie einen goldenen Kronreifen mit Edelsteinen und ein Kinnband wie es im Mittelalter die Frauen trugen, ein sogenanntes Gebende. Hinter ihrem Haupt ist in den Goldgrund eine leicht reliefartig erhabene Strahlenscheibe eingearbeitet. Mit all diesen Attributen ausgerüstet steht sie da mit ernstem und auch strengem Blick und voller Selbstbewusstsein. Sie hat langes blondes oder rötlichblondes Haar. Der Hintergrund schimmert golden, leuchtend hebt sich der blaue Umgang davor ab. Der Boden auf dem sie steht ist eine Blumenwiese, es blüht überall. Man erkennt Gänseblümchen, Primeln, Nelken, grüne Grasbüschel – alles naturalistisch und botanisch richtig wiedergegeben, die höher gewachsenen Blumen, die die Dame seitlich flankieren heben sich seltsam unverbunden von dem abstrakten goldenen Hintergrund ab.

Sie blickt also herüber über den Chorbogen hinweg auf die andere Seite hin zu einer Frauengestalt, der teilweise ganz ähnliche Attribute zugeordnet sind wie sie selbst, die hier aber eine ganz andere Rolle spielen, ganz anders funktionieren: auch diese Frau steht, auch sie hat auch ein rötliches Gewand mit Gürtel, auch sie hat auch einen Umhang, sie hat auch einen Stab mit Fahne, sie hat auch eine Krone. Aber der Stab ist eine Lanze und die ist gebrochen, auf der weißen Fahne ist ein Stern in blassem hellem Grau gezeichnet – an dieser Stelle hat die Ecclesia einen Strahlenkranz - , die Krone hat sie nicht auf dem Kopf sondern sie fällt im freien Fall nach unten, und in der Hand hält sie statt dem goldenen Pokal ein Messer mit Blutspuren, das im Zusammenhang steht mit dem Widder zu ihrer rechten Seite. Der Widder liegt auf einem Bündel Holz und dieses auf einem Opferstein, er ist ein Opfertier. Am auffälligsten ist aber der Tatbestand, dass diese Figur nichts sehen kann, denn sie hat eine Binde vor den Augen. Die würdige Kinnbinde der Ecclesia ist hier zur Augenbinde geworden. Ihr langes Haar ist tiefschwarz und nachlässig frisiert, und ohne jede würdige Kopfbedeckung. Und sie steht auf felsigem, unfruchtbaren Boden, ganz im Gegensatz zu Dame gegenüber. Im Vergleich zur stolzen Körperhaltung ihres Gegenübers ist ihre Haltung gekrümmt und aus dem Gleichgewicht, der Körper wirkt schlaff , der Faltenwurf des Kleides und des Umhanges sind wenig kleidsam, die Farben sind bläßlich und grautonig, sie entbehren jeder Leuchtkraft.

Was sagt uns diese Bildbeschreibung, die kein großes Wissen voraussetzt. Sie sagt uns, dass wir links eine Verliererin und rechts eine Siegerin sehen. Die Kirche siegt über die Synagoge, das Christentum über das Judentum. Sie stehen sich nicht schwesterlich gegenüber, sondern die eine ist der anderen unterlegen. Während die Ecclesia rechts mit allen ihren Attributen stark und vital dasteht, ist die Synagoga links in allem demontiert. Sie wirkt erschöpft und geschwächt, irgendwie am Ende. Die Bildsprache führt uns das vor Augen.

Als ich zum ersten Mal in dieser Kirche kritische Überlegungen zur Figur der Synagoge formulierte, war die verblüffte Frage zu hören: aber wissen Sie denn nicht, dass dieses Motiv eine lange Tradition in der christlichen Bildgeschichte hat und damit auf alle Fälle nobilitiert ist. Ja – die Bildtradition, die kennen wir, aber ein Motiv kann sich im Laufe der Jahrhunderte mit veränderter Bedeutung aufladen, je nachdem, wie der zeitgenössische Kontext aussieht. Wir wissen natürlich seit langem, dass das Motiv der Gegenüberstellung von Ecclesia und Synagoge keine Bilderfindung des Malers Friedrich Stummel oder seiner Auftraggeber ist. Es gibt dieses Figurenpaar seit dem hohen Mittelalter. Wir kennen zum Beispiel die weltberühmten Steinfiguren der Ecclesia und Synagoge am Südportal des Straßburger Münsters oder am Fürstenportal des Bamberger Domes, beide um 1230 entstanden - , um zwei Beispiele zu nennen, die vielen von Ihnen bekannt sein könnten. Diese Figuren repräsentieren als allegorisches Paar Judentum und Christentum als „Concordia“ von Altem und Neuem Testament, als Beziehung von Verheißung und Erfüllung der Verheißung - ein Bildprogramm an den Portalen christlicher Kirchen, gut sichtbar von außen und für alle. Bei aller Differenz sind bei den mittelalterlichen Darstellungen Ecclesia und Synagoge ebenbürtige Repräsentanten des großen göttlichen Heilsplanes, der auf den mittelalterlichen Portalen in vielen Szenen eindrucksvoll vor Augen geführt wird. Die mittelalterlichen Figuren sind berühmt geworden durch ihre Würde und Schönheit, Würde und Schönheit beider , wobei die Beseeltheit besonders der Gestalt der Synagoge in Straßburg noch viel mehr Bewunderung fand als die der siegreichen Ecclesia. Das ist in Straßburg oder Bamberg schon Generationen aufgefallen. Was ist also der gravierende Unterschied der genannten mittelalterlichen Darstellungen zu diesen Bildern hier in der Kirche, die 1912 entstanden, in der Zeit des wilhelminischen Kaiserreiches, die sich aber auf mittelalterliche Bildtradition berufen?

Ich meine, daß der Figur der Synagoge als Allegorie des Judentums in dieser Darstellung Würde, Respekt und Wert abgesprochen wird. Die Bildsprache scheint mir eindeutig. Friedrich Stummel kannte sich da aus, er war ein Profi bezüglich Wirkungsweisen von Bildern, er wusste, dass man das gleiche Motiv so oder auch ganz anders darstellen kann, je nachdem, was man damit zum Ausdruck bringen wollte. Es kommt ganz auf die Bildregie an und insofern ist es kein Zufall, dass sich das schlaff zur Seite hängende Haupt der Synagoge in dem toten Opfertier noch einmal wiederholt, das in ähnlicher Haltung, mit geschlossenen Augen und dazu mit heraushängender Zunge, ohne Saft und Kraft ist. Ein feindseliger, verächtlicher Ton hat sich hier eingeschlichen, ein judenfeindlicher Ton.

Friedrich Stummel, der Maler, hielt zu seinen Bildern hier in der Kirche einen Vortrag, aus dem ich gleich zitieren werde. Man muß wissen, daß das theologische Programm nicht von ihm stammt, sondern von einer Kommission von Professoren der Theologie und der christlichen Archäologie, auch Adolf Bertram, damals Domkapitular in Hildesheim und spätere Erzbischof von Breslau war dabei und ein gebildeter Jesuitenpater. Stummel war Maler und kein Theologe. Ich zitiere aus seinem Vortrag: „Links vom Beschauer sehen wir am Eingange des Chores die Synagoge. Gott hat in seiner Erbarmung, als die Menschen, die Uroffenbarung vergessend, in Heidentum und Vielgötterei versanken, Abraham berufen und das Judentum als eine Leuchte der Erkenntnis des einen wahren Gottes unter die Völker gesetzt. Er sandte dem Judentum Propheten, so oft es abzufallen in Gefahr kam. Die Hoffnung auf den Messias blieb lebendig und das Banner des Glaubens hielt Juda in seinen Händen hoch, bis die Zeit des Messias gekommen war Aber man erkannt ihn nicht; die Eitelkeit der Menschen zu irdischen Hoffnungen blendete ihre Augen. Blind für das Reich, das nicht von dieser Welt war, schrien sie in ihrem Frevel: Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder. Die Krone der Auserwählung fiel von Judas Haupt, das Banner der Führung in der Gotteserkenntnis zerbrach in Judas Hand, das blutige Opfer nahm ein Ende mit dem zerstörten Tempel, kein schwarzer Bock wurde mehr geschlachtet für die Sünden des Volkes“. – Ende des Zitates, nun zur Ecclesia

„Rechts vom Beschauer sehen wir am Eingange des Chores eine hochaufgerichtete Gestalt im blauen Mantel und rötlichem Untergewand; hoch hält sie den Kreuzstab mit dem Kreuzesbanner in der Linken. Die Rechte trägt ehrfurchtsvoll den Kelch. Es ist die Kirche. Das Holz der Schmach ist in ihrer Hand zum Siegeszeichen geworden. Das Banner des Glaubens an dem am Kreuze gestorbenen Erlöser weht weithin sichtbar, so weit die Grenzen des Erdballs reichen und überall wird das unblutige Opfer des Neuen Bundes zur Erinnerung an das Lamm, das getötet war, dargebracht.“

Versuchen wir aber jetzt noch einmal, den zeitlichen und gesellschaftlichen Zusammenhang wenigstens ansatzweise zu begreifen, in dem diese Darstellung in dieser Kirche auftauchte. Versetzen wir uns zurück in die Entstehungszeit dieser Kirche hier in Berlin an diesem Ort. Wie dachte man damals in Kreisen der Kirche, in diesem Fall der katholischen Kirche? Diese Kirche mit der Widmung Herz Jesu entstand in einer Zeit, die politisch als wilhelminisch oder kaiserzeitlich bezeichnet wird, auf der Ebene der Wirtschaft spricht man von Gründerzeit. Bau- und kunstgeschichtlich ist es die Zeit des Historismus, also der Rückgriff auf Stilformen, die es in der Geschichte schon einmal gab, mit Vorliebe wurde auf Romantik und Gotik zurückgegriffen, beide Kirchen und der Kaiser waren sich in dieser Vorliebe einig. Warum: weil das Mittelalter die große Zeit der mächtigen Kaiser und der mächtigen Kirche waren. Mit prächtig ausgestatteten Kirchen im Stil mittelalterlicher Gottesburgen, konnte man Ansprüche demonstrieren, auch Ende des 19. Jahrhunderts. Die Herz-Jesu-Kirche ist eine neuromanischer Bau, aber keine Kopie eines bestimmtes Vorbildes, sondern eine schöpferische Neuerfindung des Baumeisters und darin ein bedeutendes Baukunstwerk der Jahrhundertwende. Ein paar Jahrzehnte später war dieser historistische Stil übrigens verpönt und die Bauten mit ihren Ausstattungen sind vielerorts deshalb auch gar nicht mehr erhalten. Diese Kirche hier ist erhalten geblieben, so wie sie zur Erbauungszeit konzipiert wurde, eine Seltenheit, und in diesem seltenen Erhaltungszustand legt sie Zeugnis ab – ob uns das Zeugnis nun gefällt oder nicht.

Die Herz Jesu Kirche entstand in einer Zeit, als es in Berlin nur wenige katholische Kirchen gab. Mit der Reformation waren Bau- und Bildertradition abgebrochen. Erst als Berlin 1870 als neue Hauptstadt des Deutschen Reiches und als moderne Industriemetropole aufgebaut wurde und eine gewaltige Massenzuwanderung aus katholischen Gebieten, besondern aus Schlesien, aber auch aus dem Rheinland heranrollte, stellte sich heraus, daß man in Berlin katholische Kirchen brauchte aber keine zur Verfügung hatte. Und es gab vor allem einen sehr grundsätzlich geführten Streit zwischen preußischem Staat und der römischen Kirche, der als „Kulturkampf“ in die Geschichte eingegangen ist. Ich sage ein paar Sätze dazu, weil darüber die Position der katholischen Kirche in jener Zeit deutlich wird. Der „Kulturkampf“ war der Streit zwischen kirchlichem, kanonischem Recht und staatlichem Recht, es war die große Belastungsprobe um die Frage nach der Unabhängigkeit der katholischen Kirche von den Machtansprüche der Regierung. Zündstoff hatte das Erste Vatikanische Konzil gegeben 1870/71 – zeitgleich mit der Gründung des Kaiserreiches – weil es die Unfehlbarkeit des Papstes in Fragen des Glaubens und der Sittenlehre zum Dogma erhob. Es ging dabei um die kirchliche Autorität, die sich der modernen Welt entgegensetzte: Liberalismus, Materialismus, Darwinismus, Sozialismus. Im Deutschen Reich brachte der Staat Gesetze heraus, die die Wirkräume der Katholiken radikal beschnitten. Papst Pius IX erklärte diese Gesetze wiederum für ungültig, was zu Folge hatte, daß katholische Institutionen keine staatlichen Zuschüsse mehr bekamen, Geldstrafen, Pfändungen, Gefängnis für Priester, Amtsentzug, massenhaft Ausweisung von Priestern. Dies alles war besonders gravierend für ein Diaspora-Gebiet wie hier. Ein Bekenntnis zur römischen Kirche war bis ca 1878, als ein neuer Papst einlenkte, identisch mit vaterlandsloser Gesinnung, Katholiken galten in dieser Zeit als politische Feinde.

Kirchen für Katholiken gab es also erst ab den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts und Herz Jesu hier , 1898 erbaut, zählt zu den Pionierkirchen des Katholizismus nach diesem politischen Kampf, und sie hat deshalb in ihrer Ausstattung ein gezielt propagandistisches Bildprogramm in eigener Sache. Das freundliche und pastorale Herz Jesu-Motiv ist die eine Seite des Bildprogrammes: Christus, der den Menschen freundlich entgegengeht, der sein Herz gibt, der als Freund der Kinder und Heiler der Kranken dargestellt wird, der sich auf die Schwachen und Verzweifelten einläßt, vor allem auch auf die Zweifler. Für alle diese Motive gibt es die hier auf die Wände gemalten Szenen. Aber es gibt auch eine andere Seite, und das ist die kirchenpolitische Propaganda: Aufgerufen werden Päpste und Bischöfe, Ordensheilige, Märtyrer und Patrone, die jahrhundertealte Geschichte der katholischen Kirche verkörpern und feierlich auf diese historische Kontinuität und Identität verweisen. Betont wird ausdrücklich die Treue zum Papst in Rom, die Gestalt des Petrus mit den zertrümmerten Symbolen des Heidentums zu Füßen ist unübersehbar. Auch die Darstellungen in der Kuppel – Anbetung des Lammes durch die 24 Ältesten, ein Motiv aus der Geheimen Offenbarung des Johannes, will politisch verstanden werden, weil es sich gegen den protestantischen Kaiserkult dieser Zeit wendet. Die Bildaussage lautet: wir verehren das Lamm Gottes, vor ihm legen wir die Kronen nieder und nicht vor dem Kaiser. Für die katholischen Zeitgenossen hatte das eine ganz andere Brisanz als heute, denn dieses Bildprogramm stellte sich in Gegensatz zur mächtigen protestantischen Staatskirche. Bekanntlich gab es auch den protestantischen Kirchenbauverein, gegründet 1890, der unter der Protektion der Kaiserin stand. Gegen diese Übermacht stellt sich die Herz Jesu-Kirche mit einem eigenen katholischen Bildprogramm. Sie arbeitet mit den gleichen propagandistischen Mitteln wie die zeitgenössische Historienmalerei, in der ja auch auf geschichtliche Ereignisse und Personen zurückgegriffen wird zur Begründung der Legitimität des eigenen Anspruchs. Die schwelgerische farbintensive Bildsprache mit realistischen, gar naturalistischen Details kennt man von der wilhelminischen Historienmalerei, hier ins katholische gewendet.

Die Propaganda in eigener Sache bezog sich einerseits also auf die protestantische Staatskirche. Aber sie bezog auch Position gegenüber dem Judentum. In diesen Zusammenhang gehören Ecclesia und Synagoge. Als die Herz Jesu Kirche entstand gab es schon mehrere Jahrzehnte die schöne prächtige Synagoge in der Oranienburger Straße, ein wunderbarer und viel bewunderter Bau. Vielleicht wollte sich der Bau der Herz Jesu Kirche sich auch messen an diesem jüdischen Gotteshaus und dies vielleicht auch nicht ohne Neid und Mißgunst. Jedenfalls zeigt die Figur der Ecclesia, die den eucharistischen Kelch und den Kreuzstab mit der Siegesfahne in der Hand hält und triumphiert, und die Synagoge, die häßlich, barhäuptig, blind und mit einem getöteten Opfertier an ihrer Seite dargestellt ist, einen ressentimentgeladenen Ton, der zu nichts Gutem führte.

Wir sprechen über Bilder. Der Maler Friedrich Stummel arbeitete mit lebenden Modellen. In dieser Zeit war der Naturalismus in der profanen Malerei eine längst zurückliegende Errungenschaft, der Impressionismus hatte längst sich durchgesetzt, der Expressionismus und die abstrakte Malerei standen vor der Tür. Stummel war ein Kirchenmaler, hatte stockkonservative Auftraggeber, konnte aber kaum hinter die Errungenschaften der Geschichte der Malerei zurück. Das war ein gewisses Problem. Der Auftraggeber wollte Goldgrund, irgendwie mittelalterlich, vorreformatorisch und feierlich sollte es aussehen. Und Heiligenfiguren und Allegorien sollten es auch sein. Für Stummel war es selbstverständlich, daß er mit Modellen arbeitete. Allegorische Figuren, die aussehen wie zeitgenössische Frauen - kein Wunder, daß das Modell der Ecclesia gleich erkennt wurde: Helene Stummel, die Gattin des Malers – auch das noch. Unüberzeugend als Heilige, irgendwie verkleidet, ebenso wie die Synagoge, ebenfalls ein Modell aus dem Atelier und propagandistisch ins Häßliche gewendet, eine ressentimentgeladene Darstellung vom Standpunkt einer Minderheit in der Diaspora, die es lange schwer hatte, keine gesellschaftliche Anerkennung besaß und zu diesem historischen Zeitpunkt begann, ein Selbstbewußtsein hier in dieser Stadt aufzubauen.

Die beiden Frauen, Ecclesia und Synagoge, sind hier unversöhnt. Das wollen wir nicht beschönigen, das können wir auch gar nicht, weil wir in der Rückschau wissen, daß Verachtung und Entwertung die Vorbereitung war für das, was Jahre später in Massenvernichtung endete. Wohlgemerkt: die katholische Gemeinde, die das Bildprogramm damals in Auftrag gab und der Maler mit seiner Werkstatt, die es ausführten, haben die Vernichtungslager der Nationalsozialisten nicht einmal ansatzweise ahnen können oder gar ahnen wollen. Die Synagoge in der Kirche hier legt dennoch Zeugnis ab. Von einer Mentalität, die das Judentum entwertet und diffamiert. Deshalb der dringende Appell in der Woche der Brüderlichkeit, daß diese beiden, Judentum und Christentum, Schwestern sein mögen, die sich für alle Zukunft mit Respekt und Interesse begegnen. Behalten wir das im Gedächtnis. Für den Glauben, von dem die Herz Jesu-Kirche in der verschwenderischen Fülle ihrer vielen anderen Bilder und Kunstwerke zeugt, kann das nur eine Bereicherung sein.

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